♡ Das geteilte Brötchen

Zusammenfassung: In diesem Text erfährst du den wahren Grund, warum Kinder manchmal ausrasten, weil wir ihr Brötchen durchgeschnitten haben. Und was man machen kann.


Wie man Wutanfälle besser versteht

Ich schneide letztens nichtsahnend am Frühstückstisch ein Brötchen für mein Kind in zwei Teile und – eine absolute Katastrophe bricht aus! An Frühstück ist nicht mehr zu denken, der eben noch fröhlich plappernde Sonnenschein schreit nur noch hysterisch. Jeder Versuch, die Situation zu lösen, scheitert. Logik? Keine Chance! Bitten? Vergiss es! Drohungen? Ok, das ist sowieso ein anderes Thema...

Aber was ist hier passiert? Und warum isst mein Kind das geteilte Brötchen einmal fröhlich und protestfrei auf und beim nächsten Mal bricht die Hölle los?

Der Teil des Gehirns, der für gute Entscheidungen, Emotionskontrolle, Empathie und das Vorstellen zuständig ist, ich nenne ihn der Einfachheit halber das "obere Gehirn", ist erst mit Mitte Zwanzig fertig entwickelt. Dadurch ist es für mein Kind in bestimmten Situationen einfach unheimlich schwer, sich logisch zu verhalten und unsere "erwachsene" Logik zu verstehen. Im Fall des durchschnittenen Brötchens hat mein Kind sich vorgestellt, das ganze Brötchen zu essen. Jetzt, da ich es durchgeschnitten habe, ist das nicht mehr möglich. Die reale Welt ist nicht mehr in Einklang zu bringen mit der inneren Welt des Kindes. Es kann das innere Bild nicht loslassen und sich sagen: "Nagut, dann esse ich eben erst die eine, dann die andere Hälfte". Stattdessen steckt es fest zwischen dem inneren Bild des ganzen und dem äußeren Bild des halben Brötchens. Ihm fehlt die situative Flexibilität.


Dies erklärt auch, warum mein Sonnenschein das halbe Brötchen manchmal anstandslos isst. In diesem Fall hat er einfach noch kein mentales Modell (= keine Vorstellung im Kopf) des ganzen Brötchens gebildet und kann sich daher problemlos auf das halbe Brötchen "einlassen".

Jetzt aber stecken wir in der Situation fest und das Kind schreit fürchterlich. Also erstmal: tief durchatmen! Wichtig ist, dass ich Sicherheit vermitteln kann und das Gefühl, dass ich weiß, was ich tue. Deshalb vergesse ich als erstes alle Konzepte von "Essen vergeuden" und solchen Dingen, die meine Eltern mir beigebracht haben. Nur so kann ich versuchen wertfrei auf das zu schauen, was ist: Ein Kind, das Schwierigkeiten hat, sich selbst zu regulieren und das meine Hilfe braucht. So fällt es mir schon viel leichter, gelassen und liebevoll zu bleiben. Und das ist sehr wichtig, wenn ich die Situation nicht weiter eskalieren lassen will. Um das Gehirn wieder ins Gleichgewicht zu bringen, wechsle ich zuerst mal den Ort des Geschehens.

Ich nehme mein großes Kind auf den Arm, gehe in einen anderen Raum und tröste es wie damals, als es noch ein Baby war. Zusätzlich spiegele ich sein Gefühl, indem ich immer wieder sage "Du bist so wütend". Trotzdem will ich die Situation ja auflösen und suche daher etwas, das seine Aufmerksamkeit anziehen könnte. Ich gehe mit ihm zum Fenster, bitte es um Hilfe oder versuche es mit einem Spielzeug abzulenken. (Manchmal muss mein Kind auch Stress oder Trauer rauslassen und einfach mal weinen. Dann löst sich die Situation nicht auf und es ist umso wichtiger, dass ich sein Verhalten in diesem Moment nicht nach meinen logischen Maßstäben messe sondern einfach für mein Kind da bin.) Hat sich mein Kind wieder beruhigt, kann ich als letzten Schritt das durchgeschnittene Brötchen wieder ins Spiel bringen. Der Trick: ich präsentiere es als neues Brötchen. Z.B. nur die eine Hälfte, dann die andere. Auf einem neuen Teller serviert; in eine andere Form geschnitten.... Je nach Entwicklungsstand muss ich mir etwas mehr oder weniger kreatives einfallen lassen, um das Brötchen "neu" erscheinen zu lassen. Wenn mir das aber gelingt (und noch Hunger übrig ist), wird mein Kind das Brötchen mit Freude essen. 

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Zum Weiterlesen:
Gehirnfutter für Eltern: Erziehung ohne Strafe - Teil 1
Gehirnfutter für Eltern: Erziehung ohne Strafe - Teil 2
Gehirnfutter für Eltern: Erziehung ohne Strafe - Teil 3
Gehirnfutter für Eltern: Das Gehirn versteht kein Nein



Daniel J. Siegel: "Disziplin ohne Drama"

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