♡ Hat mir auch nicht geschadet

Zusammenfassung: In diesem Text liest du, warum die "schwarze Pädagogik" so schwer auszurotten ist. Außerdem die schönsten und schaurigsten Beispielsätze inklusive "netterer" Alternativen für kritische Situationen.



Schwachsinn und schwarze Pädagogik aus dem Elternautomaten – und freundlichere Alternativen


Schwarze Pädagogik meint jene repressive Pädagogik, die seit Ende des 19. Jahrhunderts versuchte, Kinder zu "brechen", sie dem Willen der Erwachsenen gefügig und aus ihnen "gehorsame" Menschen zu machen. Ihre Mittel sind Manipulation, Drohungen, Erpressung, Liebesentzug, Bestrafungen, Spott, Beschämen und Beschuldigen, Isolierung sowie körperliche Züchtigung bis hin zur Folter.

Viele Generationen sind mit Sätzen wie "Solange du deine Füße noch unter meinen Tisch streckst..." oder "Wenn du nicht spurst, fängst du dir eine..", ganz natürlich aufgewachsen. Sie haben sie nicht nur von ihren Eltern gehört, sondern auch von Nachbarn, den Lehrern, Busfahrern, ... Es gehörte zum überall verbreiteten Bild des Kindes als minderwertig und von Natur aus schlecht. Es war lange völlig normal, in der Schule Prügel zu beziehen – nicht etwa von den Mitschülern, sondern vom Lehrer...

Aber heute? Heute ist schwarze Pädagogik doch "out"? Heute wollen wir alle liebevolle und zugewandte, moderne Eltern im besten Sinne sein. Körperliche und psychische Gewaltfreiheit ist sogar im Gesetz verankert. Aber trotzdem findet man die Überreste schwarzer Pädagogik noch überall: Auf dem Spielplatz, in der Kita, im Supermarkt, im Wartezimmer, im Bus, in Internetforen, in unseren Wohnzimmern. Mehr oder weniger offensichtlich oder gut versteckt.

Das Problem ist, dass wir noch so gute Vorsätze haben können; wenn wir in Konflikt- oder Krisensituationen nicht mehr weiter wissen, wenn uns kein positives "Alternativprogramm" mehr einfällt, fallen wir zurück auf scheinbar Altbewährtes, was wir aus unserer eigenen Kindheit kennen.
Und an dieser Stelle schließt sich der Kreis: Unser pädagogisches "Ich weiß nicht mehr weiter"-Notfallprogramm besteht aus dem, was wir aus unserer Kindheit kennen, also im Prinzip aus dem Notfallprogramm unserer Eltern. Und diese haben ihr "Notfallprogramm" wiederum von ihren Eltern übernommen – so kommt also die Pädagogik des 19. Jahrhunderts in die Gegenwart...

Jesper Juul nennt dieses Prinzip den "Elternautomaten",  denn oft hören wir uns mit Erschrecken die gleichen Sätze wiederholen, die unsere Eltern zu uns gesagt haben – im exakt gleichen Tonfall.

Immerhin hilft uns das dabei, uns auf die Schliche zu kommen. Aber ich brauche zusätzlich ein paar positive Alternativen für kritische Situationen, die mich hilflos machen.

Ich habe für euch daher ein paar der häufigsten, schönsten und schaurigsten Floskeln der schwarzen Pädagogik gesammelt und gleich dazu ein paar modernere Alternativen vorgeschlagen.

Welche Sätze habt ihr als Kinder gehört? Und wie war das für euch? Lasst mir doch mal einen Kommentar da :)

Kadavergehorsam fordern

Ein Kind, das versteht, warum mir etwas sehr wichtig ist, kann dieses Wissen auch auf ähnliche Situationen anwenden. Es kann dieses Wissen weitergeben und sich eigene Gedanken darüber machen. Durch Gehorsam lernt es das alles nicht. Es lernt nur, sich aus Angst unterzuordnen.

„Das macht man nicht!“
"Ich will nicht, dass du das machst!"

"Keine Widerrede!"
"Wie siehst du das denn?" [Zuhören]

"Du stehst erst auf, wenn alle fertig sind."
"Ich will, dass du heute noch etwas sitzen bleibst, bis alle fertig sind mit essen. Vielleicht möchtest du ja noch was erzählen? Ist das für dich ok? Sonst kannst du auch noch ein Buch lesen oder dir ein Spielzeug an den Tisch holen."

"Du bleibst sitzen, bis der Teller leer ist..."
"Bitte nimm dir nur so viel, wie du auch wirklich essen möchtest. Ich mag kein Essen wegwerfen."

"Solange du die Füße unter meinen Tisch steckst..."
"Ich  will, dass du dich zu Hause an unsere Regeln hältst. Wenn du sie nicht magst, müssen wir darüber reden, ob wir einen Kompromiss finden können, mit dem alle zufrieden sind."

"Weil ich es sage..."
"Ohje, ich sehe, dass du das unbedingt willst und es dir ganz wichtig ist. Trotzdem will ich das nicht. Wir können aber XY..."
Für größere Kinder: "Ich will das wirklich nicht. Wenn du möchtest, können wir gemeinsam versuchen, eine Alternative zu finden."

Mit „höheren Mächten“ drohen

Auch wenn es für unseren erwachsenen Verstand vielleicht harmlos klingt, für Kinder sind Bedrohungen durch höhere Mächte sehr real. So real wie für uns die Angst, dass unserem Kind oder unserem Partner etwas zustoßen könnte. Solche Ängste können im schlechtesten Fall ein Leben lang beeinträchtigen.

"Morgen kommt der Weihnachtsmann. Warst du denn auch artig?"
"Morgen kommt der Weihnachtsmann. Freust du dich?"

"Der Nikolaus lies aus einem goldenen Buch vor, was du Böses gemacht hast. Wenn du nicht artig warst, kommt er mit der Rute."
"Der Nikolaus war ein Bischof, der viel Gutes getan und die Kinder beschenkt hat. Deshalb erinnern wir uns gern an ihn, stellen die Stiefel vor die Tür und bekommen ein kleines Geschenk."

"Der Weihnachtsmann/liebe Gott sieht alles."
"Ich will nicht, dass du das machst! Und ich vertraue dir, dass du es schaffst, stattdessen lieber xy zu tun."

"Wenn du aufgegessen hast, gibt’s schönes Wetter."
"Wenn du satt bist, gehen wir Zähne putzen."

"Das darf man nicht, dann kommt die Polizei..."
"Ich will nicht, dass du das anfasst! Schaffst du das, oder gehen wir lieber weiter?"

Erpressung

Was unter Erwachsenen keine gute Idee ist, ist auch im Umgang mit Kindern nicht hilfreich. Natürlich kann das „funktionieren“. Aber alles, was ich meinem Kind damit beibringe, ist, dass der Stärkere dem Schwächeren seinen Willen aufzwingen kann. Dass Erpressung in Ordnung ist. Wie man solche Situationen lösen kann, ohne in die „Wenn-Dann“-Falle zu tappen, wird in „Erziehung ohne Strafe“ Teil 1 bis 3 ausführlicher erklärt.

"Wenn du nicht sofort damit aufhörst, dann..."
"Komm, wir gehen mal hier auf die Seite, damit du etwas runterkommen kannst und versuchen es dann noch einmal. [Verbindung aufbauen!Bitte mach es lieber so..."

"Wenn du jetzt nicht aufräumst, komme ich mit einem Müllsack und schmeiße alles weg!"
"Ich räume jetzt auf, will mir jemand helfen? Nein? Oh, ich bin schon fast fertig. Ich bin am schnellsten! Nein, warte, das ist ja noch was. Das will ICH aufräumen! Waas? Das willst DU aufräumen? Oh man, du bist aber schnell."
Größere Kinder: [zuerst Verbindung aufbauen!] "Ich mag es gerne aufgeräumt und das Chaos in deinem Zimmer stresst mich. Ich habe Angst, dass irgendwann Käfer aus deinem Zimmer krabbeln, wenn du nicht sauber machst. Kann ich dir beim aufräumen helfen? Oder hast du eine Idee? Lass uns mal zusammen über eine Lösung nachdenken."


"Denk mal drüber nach, was du da gemacht hast!"
[Verbindung aufbauen!] "Du hast xy gemacht. Das mag ich nicht und ich will nicht, dass du dich so verhältst. Das nächste Mal mach es bitte so... "
Größere Kinder: [Verbindung aufbauen!] "Das ist heute blöd gelaufen, stimmt's? Was war denn los? So kenne ich dich gar nicht..." "Hast du eine Idee, wie du das beim nächsten Mal besser lösen könntest? Kann ich dir helfen, eine bessere Lösung zu finden?"

"Jetzt machst du eine Auszeit! Es reicht! Setzt dich da hin und denk drüber nach, was du gemacht hast."
"Komm mal mit, das klappt hier gerade nicht gut. Wir setzen uns mal zusammen da vorne auf die Bank." [Wir setzen uns gemeinsam hin und ich tröste mein Kind, helfe ihm, sich zu beruhigen. 
Verbindung aufbauen!] „Atme mal tief durch“. [Wenn sich die Situation beruhigt hat:] „Du hast XY gemacht. Das ist gefährlich/tut weh/will ich nicht! Ich möchte, dass du stattdessen Z machst. Schaffst du das?“ [Kind nickt] „Ja? OK, dann probiere es gleich mal aus.“

"Ich zähle jetzt bis 3 und dann bist du hier, oder..."
"Hmm, ich will wirklich los. Sollen wir mal zusammen zählen und dann gehen wir? Bis wohin? Bis 5? OK, los. 1, 2,...5! Super, jetzt gehen wir los!"

"Wer nicht hören will, muss fühlen..."
"Oh Mist, jetzt hast du dir wehgetan."

"Wenn du jetzt nicht kommst, gehe ich ohne dich!"
"Schau mal hier: Erziehung ohnne Strafe Teil 1"

"Wenn du so stampfst, bricht der Boden durch und du landest im Keller."
"Kannst du bitte versuchen, leise zu gehen? Wie eine Katze vielleicht?"

Emotionale Erpressung

Emotionale Erpressung schadet dem Selbstwertgefühl. Nur wenn ich die Gefühle meines Kindes Ernst nehme und anerkenne – die positiven und die negativen – kann es lernen, mit seiner Gefühlswelt umzugehen.

"Wenn du wieder lieb bist, kannst du wieder zu uns kommen."
"Ohje, du bist gerade ganz wütend. Soll ich dich mal in den Arm nehmen? Oder soll ich lieber raus gehen? Ist ok, ich gehe mal in die Küche und komme gleich noch mal schauen, ob es dir schon besser geht."

"Dann ist Mama ganz traurig..."
"Ich will nicht, dass du xy machst. Bitte mache stattdessen z."

"Dann hab ich dich nicht mehr lieb..."
"Ich hab dich immer lieb, ganz egal was du machst. Auch wenn ich mal wütend bin und rumschreie. Auch wenn ich genervt bin. Auch wenn ich es gerade nicht gut zeigen kann. Ich hab dich immer lieb. Immer."

"Das ist aber nicht lieb/ Nur liebe/brave/artige Kinder dürfen..."
"Bitte sei sanft zu deiner Freundin. Bitte versuche es mal so."


"Dann lachen dich die Leute/ die anderen Kinder aus..."
"Das ist Privat und manche Leute möchten das nicht sehen. Mach es bitte einfach dann, wenn keiner dabei ist. Z.B. allein in deinem Zimmer."
"Es ist ok, noch eine Windel zu tragen, aber wenn du das Gefühl hast, du schaffst es auch ohne, unterstütze ich dich."

Du bist nur in Ordnung, wenn du so bist, wie ich dich haben will

Ein gesundes Selbstwertgefühl gründet sich darauf, dass man nicht perfekt sein muss. Dass man für seine Fehler und Unzulänglichkeiten nicht verurteilt oder ausgelacht wird, sondern Hilfe bekommt, es in Zukunft besser zu machen.

"Ich höre dir nur zu, wenn du es richtig aussprichst."
"Hm, was hast du gesagt? Ich verstehe dich so schlecht, wenn du den Schnuller im Mund hast. Kannst du den bitte rausnehmen, wenn du mir etwas sagen willst? Meinst du eine Katze? Aah, eine Katze ist das, stimmt!"

"Ich bin so enttäuscht von dir..."
"Ich bin so wütend! Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll."

"Du weißt genau, dass du das nicht..."
"Du hast deine Schwester an den Haaren gezogen! Bitte sag Stop und ruf mich. Ich helfe euch, eine Lösung zu finden!" "Du hast die Wand in der Küche angemalt! Das finde ich überhaupt nicht gut! Ich möchte, dass du nur auf Papier malst!"

"Ich hab jetzt Wichtigeres zu tun..."
"Oh, du hast ein Piratenschiff gebaut! Hör mal, ich mache gerade etwas Wichtiges am Computer, kannst du bitte schon mal vorgehen und das Kinderzimmer entern? Ich komme gleich nach."

"Du bist so respektlos..."
"Das macht mich so wütend!"

"Du siehst hässlich aus, wenn du weinst..."
"Es ist ok, zu weinen."

"Du bist ganz schön verwöhnt..."
"Das kann ich mir vorstellen, dass du gerne noch ein [z.B.] Eis haben möchtest. Eis ist wirklich lecker! Aber ich will jetzt nicht noch ein Eis kaufen. Wir können aber auf dem Rückweg noch mal nach dem Gabelstapler/der Schnecke/dem Fahrrad im Schaufenster, ... schauen, die wir auf dem Hinweg gesehen haben. Meinst du, die sind noch da?"


"Du nervst!"
"Das nervt mich! Kannst du bitte stattdessen xy machen? Oder z? Mir ist das zu laut/schrill/wild, etc."


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Zum Weiterlesen:
Gehirnfutter für Eltern: Erziehung ohne Strafe - Teil 1
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Gehirnfutter für Eltern: Lob ist schädlich - und jetzt?
Gehirnfutter für Eltern: Wie wir unsere Kinder schützen


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Jesper Juul: "Dein kompetentes Kind"
Gundi Gaschler: Ich will verstehen, was du wirklich brauchst. Gewaltfreie Kommunikation mit Kindern.


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Photo by Katherine Chase on Unsplash