♡ Erziehung ohne Strafe 1
Erziehung ohne Strafe. Klingt toll oder? Aber das ist leichter gesagt als getan. Denn wie bekomme ich meine Kinder ohne Drohen und Strafen dazu, zu tun, was ich möchte? Wie vermeide ich es, hilflos dazustehen und meine Kinder auf meiner Nase herumtanzen zu lassen? Ich verrate euch soviel: es geht. Hier findet ihr ein paar Strategien zum Umdenken.
Ein Beispiel: Ich bin mit meinem Sohn auf dem Spielplatz. In meiner kleinen Planentenwelt ist es kalt, ich muss Pipi und zu Hause auch noch Abendbrot vorbereiten, bevor ich die Kinder ins Bett bringen will. Kurz: Ich will nach Hause! Auf der Umlaufbahn meines Sohnes sieht es dagegen ganz anders aus: Er spielt gerade zufrieden im Sand, möchte gleich noch rutschen und eine Runde mit dem Bobbycar fahren. Er spürt weder Hunger noch Durst und die Zeit ist ihm eh ganz egal. Er ist ganz im Moment und in diesem Moment sehr zufrieden genau da, wo er gerade ist. Wenn ich ihm jetzt vom anderen Ende des Spielplatzes zurufe, „Kommst du bitte, wir wollen nach Hause!“, wird er mich sehr wahrscheinlich einfach ignorieren. Wir bleiben beide in unserer eigenen Welt und „fliegen“ so fröhlich aneinander vorbei. Ich kann so oft rufen, wie ich mag. Meine einzige Chance darauf, dass mein Kind in dem Moment doch vom Spielplatz mitkommt, ist, dass sich zufällig etwas in seiner Realität so ändert, dass er doch zum Mitkommen bereit ist. Vielleicht bekommt er auf einmal Hunger oder ihm ist kalt oder sein Spiel wird doch langweilig. Wenn mir dieser Zufall allerdings nicht hold ist, stehe ich immer noch ziemlich verloren am Rand des Spielplatzes und rufe. Langsam werde ich sauer. Ich versuche es also mit einer anderen Strategie – ich gehe auf Kollisionskurs: „Komm jetzt sofort her, ich werde langsam sauer! Ich sag’s dir jetzt ein letztes Mal! Ich zähle bis 3 und dann bist du hier!“ Vielleicht bin ich tatsächlich furchteinflößend genug, dass mein Kind tut, was ich sage (besonders Männer schaffen das manchmal). Wahrscheinlicher ist allerdings, dass mein Kind sich auflehnt. Es reagiert aufgedreht, es rennt weg, lacht, „provoziert“. Mir bleibt nur noch, entnervt aufzugeben und wieder auf den Zufall zu hoffen, oder mich mit Gewalt durchzusetzen. Ich schleife mein Kind wütend vom Spielplatz, nicht ohne es noch einmal wütend anzuschnauben, „Warum muss das immer so ein Theater sein?“ Diese Strategie hat also funktioniert. Ich habe bekommen, was ich wollte. Aber sie hat auch Nebenwirkungen. Egal, an welchem Punkt mein Kind mitgekommen ist, ob nach der wörtlichen Drohung oder erst mit körperlichem Zwang: Unsere Beziehung hat einen negativen Impuls bekommen und unsere Umlaufbahnen haben sich ein Stückchen voneinander entfernt.
Aber es gibt noch einen dritten Weg. Meine Pipi-kalt-müde-Realität ist im Moment offenbar Lichtjahre von der Bagger-Rutsche-Spielen-Toll-Realität meines Kindes entfernt. Aber ich kann mein Kind auf seiner Umlaufbahn abholen, wenn ich bereit bin, dafür meine eigene zu verlassen. Wenn unsere Planeten eine kleine Weile nebeneinander hergeflogen sind, kann ich – wie ein Magnet – meinen kleinen Planeten andocken und aus seiner Bahn in meine mitnehmen. In der Praxis sieht das dann vielleicht so aus:
Ich gehe auf meinen Sohn zu, gehe neben ihm in die Hocke, lege meine Hand sanft auf seinen Rücken und schaue erstmal, was er so macht. Ich sehe, er buddelt mit einem Bagger im Sand, es scheint ihm Spaß zu machen, er wirkt ganz eingenommen davon: „Oh, das ist aber ein großes Loch.“ Was genau ich sage, ist gar nicht so entscheidend. Wichtiger ist, dass es eine offene Einladung ist, über das zu reden, was mein Kind da gerade tut. Buddeln, wild durch die Gegend rennen, Schaukeln, Rutschen, was auch immer. Ich interessiere mich und tauche ein kleines Stück mit in seine Welt ein. Ich steuere meinen Planeten auf seinen Kurs. Dass er angedockt hat, kann ich daran ablesen, dass wir in Kontakt kommen. Wir haben Augenkontakt und mein Kind nickt. Wenn ich jetzt etwas (gern kreativ, auf jeden Fall aber positiv) vorschlage, z.B. „Komm, wir parken den Bagger da hinten und dann machen wir uns mal auf den Weg nach Hause, da gibt es lecker Nudeln“, ist es leicht, mein Kind zum Mitkommen zu bewegen. Das wichtigste aber ist: Unsere Beziehung hat einen positiven Impuls bekommen. Unsere Umlaufbahnen sind ein Stückchen näher zusammengerückt und so wird es das nächste Mal noch einfacher sein, mein Kind zum freiwilligen Mitmachen zu motivieren.
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Daniel J. Siegel: "Achtsame Kommunikation mit Kindern"
DISCLAIMER: Ich benutze Amazon Affiliate Links. D.h. wenn ihr ein Buch über meinen Link kauft, könnt ihr damit meine Arbeit unterstützen. Die Bücher werden für euch dadurch nicht teurer.
Photo by Cristina Gottardi on Unsplash
Strategie 1: Führung durch Verbindung
Führung durch Verbindung bedeutet, dass ich meine Kinder dann besonders leicht dazu bringen kann, zu tun was ich möchte, wenn sie sich mit mir verbunden fühlen. Um besser zu verstehen, wie das funktioniert, stelle ich mir Menschen als Planeten vor, die auf ihrer jeweiligen Umlaufbahn im Universum kreisen. Je nachdem, wie gut die Beziehung zwischen ihnen ist, verlaufen ihre Umlaufbahnen in unmittelbarer Nähe oder weiter voneinander entfernt. Die Umlaufbahnen von Mutter und Kind sind nah beieinander, die von zwei völlig Fremden mit kulturell ganz verschiedenem Hintergrund, weit voneinander entfernt. Jede Interaktion mit einem anderen Menschen verschiebt unsere Umlaufbahnen. Positive Interaktionen bringen uns ein winziges Stückchen näher, negative Interaktionen entfernen uns voneinander.Ein Beispiel: Ich bin mit meinem Sohn auf dem Spielplatz. In meiner kleinen Planentenwelt ist es kalt, ich muss Pipi und zu Hause auch noch Abendbrot vorbereiten, bevor ich die Kinder ins Bett bringen will. Kurz: Ich will nach Hause! Auf der Umlaufbahn meines Sohnes sieht es dagegen ganz anders aus: Er spielt gerade zufrieden im Sand, möchte gleich noch rutschen und eine Runde mit dem Bobbycar fahren. Er spürt weder Hunger noch Durst und die Zeit ist ihm eh ganz egal. Er ist ganz im Moment und in diesem Moment sehr zufrieden genau da, wo er gerade ist. Wenn ich ihm jetzt vom anderen Ende des Spielplatzes zurufe, „Kommst du bitte, wir wollen nach Hause!“, wird er mich sehr wahrscheinlich einfach ignorieren. Wir bleiben beide in unserer eigenen Welt und „fliegen“ so fröhlich aneinander vorbei. Ich kann so oft rufen, wie ich mag. Meine einzige Chance darauf, dass mein Kind in dem Moment doch vom Spielplatz mitkommt, ist, dass sich zufällig etwas in seiner Realität so ändert, dass er doch zum Mitkommen bereit ist. Vielleicht bekommt er auf einmal Hunger oder ihm ist kalt oder sein Spiel wird doch langweilig. Wenn mir dieser Zufall allerdings nicht hold ist, stehe ich immer noch ziemlich verloren am Rand des Spielplatzes und rufe. Langsam werde ich sauer. Ich versuche es also mit einer anderen Strategie – ich gehe auf Kollisionskurs: „Komm jetzt sofort her, ich werde langsam sauer! Ich sag’s dir jetzt ein letztes Mal! Ich zähle bis 3 und dann bist du hier!“ Vielleicht bin ich tatsächlich furchteinflößend genug, dass mein Kind tut, was ich sage (besonders Männer schaffen das manchmal). Wahrscheinlicher ist allerdings, dass mein Kind sich auflehnt. Es reagiert aufgedreht, es rennt weg, lacht, „provoziert“. Mir bleibt nur noch, entnervt aufzugeben und wieder auf den Zufall zu hoffen, oder mich mit Gewalt durchzusetzen. Ich schleife mein Kind wütend vom Spielplatz, nicht ohne es noch einmal wütend anzuschnauben, „Warum muss das immer so ein Theater sein?“ Diese Strategie hat also funktioniert. Ich habe bekommen, was ich wollte. Aber sie hat auch Nebenwirkungen. Egal, an welchem Punkt mein Kind mitgekommen ist, ob nach der wörtlichen Drohung oder erst mit körperlichem Zwang: Unsere Beziehung hat einen negativen Impuls bekommen und unsere Umlaufbahnen haben sich ein Stückchen voneinander entfernt.
Aber es gibt noch einen dritten Weg. Meine Pipi-kalt-müde-Realität ist im Moment offenbar Lichtjahre von der Bagger-Rutsche-Spielen-Toll-Realität meines Kindes entfernt. Aber ich kann mein Kind auf seiner Umlaufbahn abholen, wenn ich bereit bin, dafür meine eigene zu verlassen. Wenn unsere Planeten eine kleine Weile nebeneinander hergeflogen sind, kann ich – wie ein Magnet – meinen kleinen Planeten andocken und aus seiner Bahn in meine mitnehmen. In der Praxis sieht das dann vielleicht so aus:
Ich gehe auf meinen Sohn zu, gehe neben ihm in die Hocke, lege meine Hand sanft auf seinen Rücken und schaue erstmal, was er so macht. Ich sehe, er buddelt mit einem Bagger im Sand, es scheint ihm Spaß zu machen, er wirkt ganz eingenommen davon: „Oh, das ist aber ein großes Loch.“ Was genau ich sage, ist gar nicht so entscheidend. Wichtiger ist, dass es eine offene Einladung ist, über das zu reden, was mein Kind da gerade tut. Buddeln, wild durch die Gegend rennen, Schaukeln, Rutschen, was auch immer. Ich interessiere mich und tauche ein kleines Stück mit in seine Welt ein. Ich steuere meinen Planeten auf seinen Kurs. Dass er angedockt hat, kann ich daran ablesen, dass wir in Kontakt kommen. Wir haben Augenkontakt und mein Kind nickt. Wenn ich jetzt etwas (gern kreativ, auf jeden Fall aber positiv) vorschlage, z.B. „Komm, wir parken den Bagger da hinten und dann machen wir uns mal auf den Weg nach Hause, da gibt es lecker Nudeln“, ist es leicht, mein Kind zum Mitkommen zu bewegen. Das wichtigste aber ist: Unsere Beziehung hat einen positiven Impuls bekommen. Unsere Umlaufbahnen sind ein Stückchen näher zusammengerückt und so wird es das nächste Mal noch einfacher sein, mein Kind zum freiwilligen Mitmachen zu motivieren.
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